Die Texte der Sagen rund um Nunkirchen und Münchweiler wurden dem Heimatbuch von Matthias Müller aus dem Jahr 1957 entnommen – bis auf die Texte von Fritz Glutting selbstverständlich und der Geschichte um die „Teufelsgeiß“.
Die Erzähungen basieren zum großen Teil auf den Angaben in einer Dissertation, die Rudolf Schulz 1938 über die Geschichte der Pfarrei Nunkirchen angefertigt hat. Die Sage von der „Wilden Braut“ übernahm Matthias Müller sogar wortwörtlich aus der Dissertation, ohne das allerdings exakt zu kennzeichnen. Rudolf Schulz wird nur am Ende des Buches als allgemeine Quelle angegeben. Nach Angaben von Schulz in seiner Arbeit von 1938 wurden ihm alle Geschichten von älteren Menschen im Ort erzählt. Eine Ausnahme in unserem Sagenreigen bildet die Geschichte von der „Teufelsgeiß von Nunkirchen“. Sie stammt aus dem Buch „Die Sagen der Saar – von ihren Quellen bis zur Mündung“ von Karl Lohmeyer, das 1952 erschien.
- Die Glockensage von Nunkirchen – Von Maria Lillig
- Die Glockensage (in Prosaform) – Von Fritz Glutting (PDF)
- Das Schwedenkreuz
- Das Franzenkreuz
- Die Geschichte des österreichischen Soldaten Peter Thies – Von Fritz Glutting (PDF)
- Der Hannejuscht
- Hintergründe zur Geschichte des „Hannejuscht“ – Von Fritz Glutting (PDF)
- Der Teufel im Oberdorf
- Die wilde Braut
- Die Teufelsgeiß von Nunkirchen
Die Glockensage von Nunkirchen
Von Maria Lillig
Lasst mich die Harfe schwingen zu einem Heimatsang, durchrauscht von Kriegsfanfaren, durchweht von Glockenklang! |
Im Hackenbach vergruben sie den geweihten Schatz. Unkenntlich bis zur Stunde blieb der erwählte Platz. |
Nunkirchen, dir soll’s klingen, dir sei mein Lied geweiht! Es soll dir Kunde bringen aus längst vergangner Zeit! |
Denn jene zwölf, die tapfer vollbracht das Wagestück, die kehrten nimmer wieder zum Waldversteck zurück. |
Vom Hochwald flog wie Sturmwind durchs Land der Schreckensschrei: Die Schweden nah’n, die Schweden, der Himmel steh uns bei! |
Die traf der Grimm des Feindes nach ihrer kühnen Tat. Sie wählten mutges Sterben statt schmählichem Verrat. |
Die wüste Soldateska erpresst und raubt und brennt! Verloren ist, wer leugnet, verloren, wer bekennt |
Verblutet sind die Helden ob ihrer heil’gen Treu. Das Schwedenheer zog weiter, die Heimat, sie war frei. |
Drum rettet in die Wälder, was noch zu retten ist, bevor der Schwed sein Banner in unserm Dorfe hisst! |
Noch heute ruh’n die Glocken im kühlen Heimatgrund, tun einmal nur im Jahre ihr heimlich Dasein kund. |
Und Todesangst im Herzen, im Auge Fieberglut, eilt jeder sich zu bergen hinaus mit Hab und Gut. |
Wenn am Fronleichnamstage der Herr Triumphzug hält, mischt sich ihr leis Frohlocken ins Jubeln aller Welt |
Verlassen steht das Dörflein, ein scheu gemiedner Ort, kein Schall von Menschenschritten, kein Klang von Menschenwort. |
Und oft, wenn’s schneit und frieret, blüht tief im Hackenbach glutrot ein einsam Röslein, das keiner jemals brach. |
Da horch, im Kirchturm leise sich eine Stimme regt, die auf gewalt’gen Schwingen der Sturm zum Walde trägt. |
Das ist dem Blut entsprossen, das Schwedenhand vergoss, das um der Heimat Frieden für ihre Kinder floss. |
Um Rettung fleh’n die Glocken vor wilder Schwedenwut. Tollkühnheit weckt ihr Rufen und trotz’gen Männermut. |
Der Schlüssel ist’s zum Schatze, den Treue einst versteckt, den bis zum heut’gen Tage kein Sonntagskind entdeckt. |
Ob auch das Heer der Feinde schon rasselt in der Fern, ob auch die Schweden dräuen mit Lanz und Morgenstern. |
Da blüht die rote Rose vergeblich Jahr für Jahr: Vergessen sind die Glocken im Volk für immerdar. |
Zwölf Tapfre wagen kühnlich sich aus dem Waldversteck, und nehmen aus dem Turme zur Nacht die Glocken weg. |
Der Ursprung der vorliegenden lyrischen Version und das Datum der Erstveröffentlichung des Gedichts sind heute leider nicht mehr ermittelbar. Allerdings veröffentlichte Maria Lillig die Sage in Prosaform in der Zeitung bzw. der Zeitschrift „Unsere Heimat“ (Datum der Publikation unbekannt).
Auch Fritz Glutting hat sich der Glockensage angenommen und Sie als Prosa-Text – mit erheblichen Ergänzungen,
die den historischen Kontext verdeutlichen sollen – in seinem Heimatbuch von 1992 veröffentlicht. Die neu erzählte Geschichte können Sie hier nachlesen.
Ferner fand sich der Text auch einmal in einem Lesebuch. Den Ausschnitt können Sie sich hier in Ruhe anschauen.
Das Schwedenkreuz
An der Straße nach Michelbach stand ein kleines Steinkreuz, genannt das Schwedenkreuz. Durch den Bau der Heeresstraße zu Beginn des letzten Krieges durch den militärischen Arbeitsdienst wurde es entfernt, weil es die Einfahrt in die Straße behinderte. Es wurde auch nicht an einen andern Platz versetzt, sondern einfach beseitigt.Mit diesem Kreuz hatte es folgende Bewandtnis:
Während des Dreißigjährigen Krieges, und zwar im Winter 1634/35, zogen schwedische und französische Truppen, geschlagen durch die kaiserlichen Heere des Generals Gallas, durch unsere Heimat, um in Frankreich Schutz und Hilfe zu finden. Unerwartet, noch ehe die Bewohner eine Ahnung davon hatten, kam ein berittener Vortrupp in unser Dorf, um Quartiere zu machen und die Bewohner zur Bereithaltung von Lebensmitteln aufzurufen. Der Anführer der Truppe war korrekt, aber viele seiner Soldaten wilde Burschen, die die erschreckten Bewohner drangsalierten und beraubten. Einer von ihnen drang sogar in die Kirche, indem er dem Küster, der sie eben zugeschlossen hatte, die Schlüssel entriss. Es gelüstete ihn nach den goldenen Schätzen in Sakristei und Tabernakel. Aus dem Kelch schleuderte er die hl. Hostien achtlos auf den Boden und steckte ihn und auch die Monstranz in einen mitgebrachten Sack. Die Tat blieb aber nicht geheim. Beim Weiterritt der Truppe auf der Michelbacher Höhe erfuhr es der Truppführer. Sofort ließ er halten und befahl den Burschen zu sich, Nachdem er seine Beute ausgepackt hatte, fand ein Standgericht über ihn statt. Der Truppführer rief mit empörter Stimme: „Habe ich nicht streng befohlen, auf unserm Rückzuge die Kirchen in Ruhe zu lassen? Sollen wir auch noch den Herrgott zu unserm Feinde haben? Der Ungehorsam muss mit dem Tode bestraft werden! Ergreift ihn und bindet ihn an diese Linde. Jeder versetze ihm aus Verachtung einen Fußtritt, egal wohin! Eine Kugel ist für ihn zu schade! Legt ihm den Strick um den Hals und hängt ihn auf, dass er verende!“. So geschah es. Der Trupp zog weiter. Mitleidige. Nunkircher, unter ihnen auch der Küster, erkannten ihn als den Kirchenräuber und waren ergriffen über Gottes schnelles Strafgericht. Sie schnitten ihn los, beerdigten ihn an derselben Stelle und setzten ein Birkenkreuz auf sein Grab. Die Kunde davon verbreitete sich schnell überall, und man nannte das Kreuz „Schwedenkreuz“. Das Holzkreuz wurde mehrmals erneuert, bis man schließlich ein kleines Steinkreuz dort errichtete. Bei Dunkelheit gingen die Menschen scheu und eilig daran vorbei, weil die Mär umging, die Seele dieses Kirchenräubers fände keine Ruhe und hause in der Umgebung dieses Kreuzes unerlöst, ruhelos und vergrämt über ihren schändlichen Gottesraub bis zum Jüngsten Tage.
Das Franzenkreuz
Im Jahre 1793 lag eine österreichische Armee in unsern Hochwalddörfern in Quartier, denn es war Krieg gegen das revolutionäre Frankreich, das seine Königin Marie Antoinette, eine österreichische Prinzessin, mit der ganzen königlichen Familie auf dem Schafott hingerichtet hatte.
Ein junger österreichischer Soldat aus Wien war bei der Gret im Bungert einquartiert. Er hatte es gut, denn die Gret war ihm wie eine Mutter. Er ließ sich gerne alles Liebe geschehen, und die Gret erzählte ihm manch lustige Geschichte aus ihrem Leben. Trotzdem saß der Junge oft ernst und traurig vor dem Hause auf der Bank und backte sehnsuchtsvoll nach Osten, der Richtung seiner Heimat. Er hatte Heimweh nach feinen Eltern, seiner lieben Heimatstadt Wien und vielleicht nach einem lieben Mädel, dem er beim Abschied die .Treue versprochen.
Die Gret hatte ein scharfes Auge und ein mitfühlendes Herz für den Kummer ihres Soldaten. Sie setzte sich neben ihn auf die Bank und sprach: „Mein Junge, ich merke es, du hast mal wieder Heimweh. Aber gedulde dich noch; der Krieg geíht ja auch wieder zu Ende.“ Dem Jungen kamen die Tränen in die Augen; wortlos stand er auf und ging in seine Schlafkammer. Die Gret schüttelte traurig den Kopf und wusste nicht, was sie anfangen sollte.
Eignes abends saßen sie wieder auf der Bank, und die Gret erzählte ihm lustige Schnurren. Da ergriff er ihre Hand, drückte sie und sprach: „Liebe, gute Frau, ich danke Ihnen für alles Gute, was Sie mir getan, Leben Sie wohl!“ Damit stand er auf und ging in seine Kammer. Kopfschüttelnd ging auch die Gret ins Haus und zur Ruh.
Am nächsten Morgen war die Kammer ihres Soldaten leer. Am späten Nachmittag wurde er von zwei Soldaten gebracht, die erzählten, dass der Kamerad in der Nacht auf der Flucht geschnappt worden sei und vom Hauptmann einen strengen Verweis erhalten habe. Sie baten die Gret, dem Jungen doch gut zuzusprechen, dass ihm die Heimwehgedanken vergingen. Ja, die Gret tat, was sie konnte, und es ging auch einige Zeit gut.
Aber wieder war eines Morgens die Kammer leer. Der Junge hatte einen zweiten Fluchtversuch unternommen, jedoch wiederum ohne Erfolg. Er wurde geschnappt und in Arrest gesteckt. Alles Bitten der Gret und auch die Fürsprache des Pfarrers beim Hauptmann waren umsonst. Ein Kriegsgericht trat zusammen und sprach das Todesurteil wegen Fahnenflucht. Der Junge wurde im Bungert 200 Meter oberhalb des Hauses der Gret von einem Exekutionskommando erschossen und an Ort und Stelle begraben.
Sein Grab wurde von der Gret gepflegt, so lange sie lebte. Nach dem Kriege kamen die Angehörigen aus Wien, um das Grab ihres lieben Toten zu besuchen. Sie stifteten ein großes eisernes Kreuz, das noch bis zum heutigen Tage steht. Man nennt es „Franzenkreuz“, weil der Acker, worauf das Grab sich befindet, der Familie Franzen gehörte.
Fritz Glutting hat die Geschichte 1997 in einem Artikel für die Saarbrücker Zeitung in den historischen Kontext gesetzt. Er beschreibt die Flucht des österreichischen Soldaten, der nun auch einen Namen, nämlich Peter Thies erhält, wesentlich detaillierter als Matthias Müller in seinem Heimatbuch von 1957. Ob sich die Geschichte allerdings tatsächlich so zugetragen hat, ist bis heute nicht nachzuweisen.
Der Mann, der die Augen auf dem Teller liegen hat
Vor Zeiten machte ein Wilderer dem Förster des Freiherrn von Hagen zu Büschfeld viel zu schaffen. Nicht nur bei Nacht, oft auch bei Tage knallte es einmal hier, einmal dort in den herrschaftlichen Wäldern. Endlich hatte er ihn doch verwischt. In 50 Meter Entfernung sah er ihn, wie er gerade ein Reh ausweidete. Vorsichtig schlich er sich näher, die Büchse schussbereit vorhaltend. Doch da bemerkte ihn der Spitzbube. Wie der Blitz ergriff er seinen Stutzen und schoss ihm die volle Ladung einer Schrotpatrone ins Gesicht, noch ehe der Jäger sich entschloss zu schießen. Der Getroffene stürzte zu Boden und blutete aus unzähligen Wunden, Als er die Augen öffnen wollte, war dunkle Nacht um ihn. Mit Schrecken merkte er, dass ihm die Augen erloschen, dass er erblindet war. Da rief er laut um Hilfe. Der Spitzbube hatte sich davongemacht, und es dauerte lange, bis Leute kamen, die dem Verwundeten halfen und ihn nach Hause brachten.
Der Übeltäter konnte nicht gefasst und zur Rechenschaft gezogen werden, obwohl der Förster ihn mit Namen nennen konnte. Der ist nämlich flüchtig geworden und hauste fortan unstet in den Wäldern. Sein böses Gewissen trieb ihn wiederholt an die Stätte seiner Gräueltat, aber fassen konnte man ihn nicht, denn er war gleich wieder verschwunden.
Viele Jahre danach traf es sich, dass Leute einem Manne begegneten, der die Augen auf einem Teller liegen hatte und erbarmungsvoll jammerte und stöhnte. Da sagte man: Das ist der Wilderer! Jetzt hat er seine Strafe, indem er selber blind ist und die eigenen Augen auf einem Teller vor sich hertragen muss. Entsetzt liefen die Leute davon, wenn sie ihm im Walde begegneten. Auch ist er schon oft nachts beim „Weißenkreuz“ gesehen worden. Zur Sühne für seine Untat muss er ruhelos in unsern Wäldern irren, wer weiß wie lange, bis Gott seine arme Seele erlöst und ihn von dem Fluche befreit.
Der Hannejuscht
Vor einigen hundert Jahren hat er gelebt, der stolze Hannejuscht mit den feurigen Schwarzaugen, mit dem kecken Jägerhütlein auf dem dunklen Gelock. Wenn er durch Nunkirchens Gassen schritt, eine ragende, schulterbreite Hünengestalt, dann flogen der Mägdlein Blicke ihm nach, dann pochte manch junges Herz in raschen Schlägen. Aber Hannejuscht sah nicht nach den zärtlich lockenden Augen, wusste nichts von heimlichem Herzweh mancher Schönen. Die er liebte, das war die einzige, die ihm keine schmachtenden Blicke nachsandte, das war eine kinderreine, arglose Jungfrau, und eben darum liebte er sie.
Und Agnes, so hieß das Mädchen, wusste nichts davon. Doch Hannejuscht traute seiner Liebe Allgewalt, und er war entschlossen, ihr bei günstiger Gelegenheit seine Liebe zu gestehen. Und die Stunde kam. Jagend durchstrich er eines Tages Nunkirchens Wälder, von seinem Rüdenpaar begleitet. Da – schon schimmert die Wiese durch den lichter werdenden Wald –, kaum hundert Schritte von ihm entfernt kniet ein blondes Mägdelein auf moosigem Waldboden und sammelt dürre Reiser zur Bürde. Hannejuscht steht und schaut, und seine Hunde stehen reglos neben ihm, von seinem Blick gebannt. Jetzt wendet das Mägdlein den Blondkopf ein wenig zur Seite, und der Bursche schaut erglühend in seiner Agnes reines Gesicht. Sie ahnt nicht, dass Hannejuschts Feueraugen auf ihr ruhen. Dem Burschen aber wird heiß und schwül, und seine Glieder zittern vor Erregung. Jetzt ist die Stunde gekommen, die er Tag um Tag, Woche um Woche gesucht hat. Jetzt wird er der Geliebten sein Herz enthüllen. Er schreitet auf die Kniende zu, langsam, leise, wie man sich etwas Heiligem nähert, und dabei pocht ihm das Herz in Fieberschlägen. Noch wenige Schritte trennen ihn von ihr, da vermag sein Mund nicht mehr zu schweigen, da jauchzt er in überschwellendem Glück in den lauschenden Wald hinein: „Agnes, mein Lieb!“
Jäh richtet sich die zu Tod erschrockene Jungfrau auf und blickt entsetzt in die flammenden, verlangenden Augen des hünenhaften Burschen vor ihr. „Agnes, mein Lieb!“ ruft dieser noch einmal und reckt die Arme nach ihr aus. Solch wilder Liebe ist die stille Agnes noch nie begegnet. Ihr graut vor der Lohe, die ihr da entgegenschlägt, und mit einem Schrei voll Furcht und Entrüstung eilt sie wie ein gehetztes Reh davon.
Hannejuscht steht versteint. All sein Glück flieht mit ihr dahin. Es ist zum Wahnsinnigwerden. Er greift sich an die Stirn. Er greift nach der Büchse und schießt – und trifft das dahineilende Mädchen. Hannejuscht, wilder Hannejuscht, was hast du getan? Leichenblass lehnt er am Stamm einer alten Eiche. Wankend nähert er sich seinem Opfer, das, auf feuchtem Waldmoose ausgestreckt, mit dem Tode ringt. „Agnes, mein Lieb!“ stöhnt Hannejuscht und kniet neben ihr nieder. „Agnes, was habe ich dir getan?“ klagt er mit gebrochener Stimme, „dir, die ich so lieb habe, so unsagbar lieb!“ Und die sterbende Jungfrau weiß jetzt, dass sie von dem wilden Burschen nichts zu fürchten hat, weiß, dass ein Unglücklicher neben ihr kniet. Sie lächelt ein schönes, verklärtes Lächeln, reicht ihm ihre sterbende, matte Hand und haucht: „Ich danke dir für deine Liebe, Hannejuscht! Wenn ich im Himmel bin, will ich dich nicht vergessen.“
Zart und scheu fasst seine Rechte nach der blumenzarten Mädchenhand, und dann bricht er in trostlose Tränen aus. Und da reift ein Entschluss in seiner männlichen Seele; „Agnes, du stirbst von meiner Hand getroffen, ich will auch sterben; mein Tod sei Sühne für den Deinen!“ Sie hört’s nicht mehr, sie liegt in feierlicher Ruhe, im Schweigen des Todes. Engel Gottes haben ihre jungfräuliche Seele schon empor getragen zu den ewigen Gefilden,
Hannejuscht erhebt sich und schreitet von dannen, aufrecht und stark. Sein Weg führt zur Buße, zur Sühne, zum Tod. Er meldet sich beim Gerichtsmeier und gesteht seine Schuld. Das Hochgericht tritt zusammen unter dem Freiherrn von Zandt und den sieben Schöffen. Das Urteil lautet auf Tod durch den Strang. Auf dem Galgenberg hat Hannejuscht seine Schuld gesühnt. Mit Gott versöhnt, ist er im Angesicht des Volkes als ein Ausgestoßener, ein Verbrecher, gestorben.
Das ist die Mär vom Hannejuscht, dessen Geist im Volksglauben heute noch in der Hannjuschtenheck und im Gutwieswald umgeht. In früheren Jahren wollten ihn gar viele des Nachts beim Viehhüten gesehen haben. Er sei, so erzählten sie, mit einem langen Mantel bekleidet und führe zwei aneinander gekoppelte Hunde mit sich. Und ein Mädchen, so geht die Sage, das ihn einmal verspottet habe, sei von unsichtbarer Hand derb geohrfeigt worden. Der jungen Spötterin ist recht geschehen; denn ein Mensch wie Hannejuscht, der zwar gefehlt hat in Schwäche und Leidenschaft, aber gesühnt hat wie ein Held, verdient keinen Spott.
Fritz Glutting hat sich in seinem Heimatbuch von 1992 mit den Hintergründen zur Geschichte des „Hannejuscht“ beschäftigt. Seine Recherchen können Sie hier einsehen.
Der Teufel im Oberdorf
Vor Zeiten, als die Straße Saarbrücken-Trier noch nicht gebaut war, ging die Hauptstraße unseres Ortes durch das Oberdorf. Damals gab es an dieser Straße auch ein gut gehendes Gasthaus. Noch mehr als heute fanden sich dort bereits sonnabends die Burschen und Bauern beim Kartenspiel, bei Bier und Branntwein ein. Dabei ging es recht oft hoch und laut her.
So saßen einst auch drei verbissene Spieler noch spät in der Nacht mit erhitzten Köpfen am Kartentisch und warfen mit Flüchen und Verwünschungen die bunten Bilder ins Spiel. Die Wirtin saß schlafend und schnarchend auf der Takenbank, da sie die drei weder durch gute noch durch harte Worte los wurde.
Eben kündete die alte Wanduhr mit zwölf Schlägen die Mitternachtsstunde an. Da sprach der eine der drei, der einen Haufen Geld als Gewinn vor sich liegen hatte, dass es Zeit zum Aufbruch sei. Damit kam er bei den beiden andern aber schlecht an. Sie schrien: „Wer Spielverderber ist, den soll der Teufel auf der Stelle holen!“ Kaum waren diese Worte gesprochen, da war der Böse auch schon da in der Gestalt eines mächtigen Hundes und legte sich knurrend und lauernd unter den Kartentisch. Die Männer waren starr vor Schrecken, und keiner wagte, sich vom Tisch zu erheben und das Spiel abzubrechen. Die Stunden vergingen, die Kartenblätter flitzten, und die Pfennige und Groschen rollten von einem zum andern.
Da polterte jemand durch den Hausflur, die Wirtsstube wurde aufgerissen, und herein trat die Frau des einen Spielers. Zornig will sie dem Alten „heimleuchten“, doch ein lautes, gellendes Aufschreien erstickt ihren Wutausbruch, denn sie hat das unheimliche Tier unter dem Tisch erblickt, dessen Nüstern und Augen glühen und Funken durch das düstere Zimmer sprühen. Von dem lauten Schrei ist auch die Wirtin erwacht und sieht das Ungeheuer unter dem Tisch. Die drei Männer, triefend vor Angstschweiß, wagen sich nicht zu erheben und werfen nur verstohlene Blicke auf die beiden Frauen.
Da kommt einer der beiden Frauen ein rettender Gedanke: „Ich gehe den Pastor rufen!“, und sie eilt davon. Nach geraumer Zeit kommt sie zurück mit dem geistlichen Herrn. Sie trägt den Weihwasserkessel, und er ein dickes Buch. Sofort wird es unter dem Tisch lebendig. Der Böse fängt an zu bellen und zu heulen, und mit dem Schweife schlägt er wider den Tisch, dass die Karten zu Boden wirbeln. Und als der Priester das Weihwasser gegen ihn sprengte, gebärdete er sich wie toll, aber er entschwand nicht, sondern kratzte die Karten zusammen unter den Tisch. Mutig trat der Priester näher, und der Teufel wich scheu zurück. Schnell hob der Priester die Karten auf und warf sie ins Herdfeuer der Küche. Nun war die Macht des Bösen gebrochen, er verschwand durch die Mauer, hinterließ aber einen Gestank von Feuer und Schwefel.
Die drei Männer blickten voll Dank auf ihren Seelsorger und gingen niedergeschlagen nach Hause. Sie waren kuriert, und niemand sah sie mehr ein Kartenspiel anrühren. Noch lange zeigte man in der Gaststube das Loch, durch das der Teufel entwich, und später, als es zugemauert war, immer noch die Stelle, wo es gewesen ist.
Die wilde Braut
Zur Römerzeit stand in Wahlen die Villa eines reichen und vornehmen Römers mit Namen Fluvius. Wüste Trinkgelage waren seine Hauptfreude. Dieses ausschweifende Leben missfiel der Tochter des Römers, die viele heimliche Tränen darüber vergoss.
Aus dem nahen römischen Lager besuchten die Offiziere oft ihren Freund Fluvius, besonders ein Hauptmann Fabius. Diesem hatte der Römer seine Tochter zur Gemahlin versprochen. Aber Julia, so hieß das Mädchen, liebte einen jungen Offizier, von dem der Vater jedoch nichts wissen wollte und seine Zustimmung zur Heirat verweigerte. Nach langem, inständigem Bitten erklärte er schließlich, wenn auch mit Widerwillen: „Wenn Marzellus, den du liebst, Hauptmann wird, soll dein Wunsch erfüllt werden.“ Einige Zeit später wurde Marzellus nach Trier berufen und zum Hauptmann befördert.
Als Fabius merkte, dass er vergeblich um Julia warb, erinnerte er Fluvius an sein Versprechen. Beide fassten nun den Entschluss, Marzellus aus dem Wege zu räumen. Sie stifteten Leute an, die ihn auf dem Rückwege von Trier meuchlings ermordeten.
Fabius glaubte jetzt am Ziele seiner Wünsche zu sein. Doch, als statt des Geliebten die Kunde von seinem Tode kam, bewahrte Julia erst recht ihm die Treue. Jedes Bitten und Drohen des Vaters war vergeblich, sie reichte dem Fabius nicht die Hand. Darüber erzürnt, verstieß der Vater sie und verwies sie aus dem Hause.
Unter dem Banne des väterlichen Fluches, den geliebten toten Bräutigam suchend und die Menschen als Mörder hassend, irrte sie fortan unruhevoll in den Wäldern der Wahlener Berge, und man erzählt, dass sie noch heute weinend und jammernd dort umhergehe. Verschiedentlich ist sie schon gesehen worden, wie sie am Bache ihre Tränen aus dem Gesichte wusch. Einem Manne, der des Nachts allein auf der Oppener Straße durch den Lückner ging, sprang sie auf den Rücken und ließ sich tragen bis zum Ausgang des Waldes. Eines Sonntagmorgens sahen einige Nunkircher Männer sie am Fuße des Schallenberges am Bache sitzend, wo sie ihre Haare wusch. Sobald die Nunkircher Glocken zur Messe läuteten, sei sie aufgestanden und zurück in den Wald geeilt.
Obwohl man Mitleid mit dem armen, verstoßenen Mädchen haben sollte, nennt man sie dennoch „die wilde Braut“, hat Angst vor ihr und vermeidet es möglichst, nachts allein durch den Lückner zu gehen.
Die Teufelsgeiß von Nunkirchen
Von jeher war die Schindkaul, ein einsamer Waldwinkel an der Nunkircher Hecke, verrufen, und besonders nach dem Betglockläuten getraute sich niemand mehr, diese Stelle zu betreten. Ein junger Bauer aus Biel aber spottete über die Furcht der Leute und fuhr noch am späten Abend auf sein Kleestück, das dicht an die Schindkaul grenzte. Hart und scharf fuhr seine Sense durch den Klee. Hart und scharf ratzte der Wetzstein über die Schärfe, aber im Walde blieb es unheimlich still. Wenn der Bauer den Kopf hob, hörte er nichts als seinen keuchenden Atem und das ferne Holpern heimkehrender Feldwagen. Nun hatte der Furchtlose den Wagen voll geladen. Er ergriff die Leine und die Peitsche, doch im selben Augenblick, wo er sich auf den Wagen schwang, stiegen die beiden Gäule an der Deichsel in die Höhe, schnaubten, warfen die Ohren nach hinten und schossen davon. Bevor der junge Bauer nur wusste, wie ihm geschah, sprang ihm ein schwarzes Ungetüm auf den Rücken und schrie: „Vorwärts, nun brech‘ den Hals und fahr in die Hölle!“ Da stürmten die Gäule noch schneller über Stock und Stein und durch dick und dünn, und der Fuhrmann verlor die Zügel, brach ächzend in die Knie und machte sich fertig zum Sterben.
Als er endlich wieder die Augen aufriss, hatte sich die Pferdeleine um einen Holzapfelbaum gewickelt, und das Gespann stand zitternd und von oben bis unten mit weißem Schaum bedeckt neben dem Schlosskreuz. Zu gleicher Zeit dröhnten die dumpfen Schläge der Bardenbacher Betglocke dem Bauern in die Ohren. Da richtete er sich um und sah, wie eine schwarze Geiß durch die Luft schnob und feurige Funken um sich verbreitete. Mit schlohweißen Haaren kehrte der junge Bauer heim. Er fuhr nie mehr auf die Schindkaul und lag nach acht Wochen im Sarg. Kein Doktor konnte je seine Krankheit ergründen.
Auch Bergleute, die in den 1870er Jahren noch zu Fuß zur Grube zogen, sahen die Schindkauler Geiß. „Meinem eigenen Großvater hat sie einmal, während er einen Bannspruch murmelte, die Pfeife und zwei Zähne aus dem Mund geschlagen. Es war eine mit zehn Tierköpfen verzierte Wurzelpfeife, an der sein Herz hing, aber er hat sie trotz langem Suchen nicht mehr gefunden.“
Diese Sage hat René Bergling im Buch „Die Sagen der Saar – von ihren Quellen bis zur Mündung“ von Karl Lohmeyer (1952, Minerva-Verlag Saarbrücken, Nr. 272, Seiten 263/264) entdeckt. Wenn hier von „Biel“die Rede ist, ist damit ein Teil des heutigen Bardenbachs gemeint. Der Stadtteil setzt sich aus Biel und Bardenbach zusammen. Die Zeichung hat Guy Thurmes entworfen.