Das Gasthaus Lauer

SZLauerArtikel_Teil1_kleinSZLauerArtikel_Teil2_klein„Bei Lauersch im Saal“ war für fast siebzig Jahre der Inbegriff für Tanz, Theater und Unterhaltung. Nachdem der Saal schon Anfang der 1970er Jahre nicht mehr als Veranstaltungsraum genutzt wurde, schloss um die Jahreswende 1977/87 auch die Gastwirtschaft Lauer ihre Pforten. Das Gebäude, das als Einzeldenkmal noch heute als schützenswertes Kulturgut geführt wird, wurde in den späten 1980er Jahren entkernt und als Supermarkt, als Videothek und heute als Bäckerei genutzt.

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Die Fassade des Hauses wurde in den Grundzügen erhalten (Foto rechts) und ist doch nur Makulatur, weil sie das frühere Ambiente der Gastwirtschaft nicht einmal mehr im Ansatz wiedergibt. Nichtsdestotrotz bleibt die Erinnerung. Petra Kochems hat uns einen Artikel zukommen lassen, der damals in zwei Teilen in der Saarbrücker Zeitung erschien (11. und 13. Februar 1978). Dorfchronist Fritz Glutting warf dabei einen Blick zurück auf die bewegte Geschichte einer Gastwirtschaft, die, wie man heute auf Neudeutsch sagen würde, Kultcharakter hatte. Wir haben den zweiteiligen Bericht zusammengefasst und an die neue Rechtschreibung angepasst. Wenn Sie das Originaldokument ansehen möchten, klicken Sie einfach auf die beiden kleinen Vorschauen oben links.


Abschied vom Gasthaus Lauer
Dörfliches Kulturzentrum schloss Pforten
Ein Rückblick in Nunkirchens Vergangenheit seit der Jahrhundertwende.

Nunkirchen. Kürzlich hat das Gasthaus Lauer seine Pforten geschlossen. Aus Altersgründen fühlen sich die Besitzer nicht mehr in der Lage, den Betrieb weiterzuführen. Damit wird eine Seite im Buch des Nunkirchener Kulturlebens umgeschlagen, auf der sehr viele interessante Einzelheiten seit der Jahrhundertwende stehen.

Schon im Januar 1905 übernahmen Jakob Lauer und seine Frau Maria geborene Geib, die Eltern der heutigen Besitzer, den Gasthof von der Familie Basenach. Das Gebäude, damals noch ohne Saal, war ursprünglich eine Gastwirtschaft mit Metzgerei. Die Jahreszahl 1847 deutet auf das Baujahr hin.

Der Pferdestall neben der Scheune wurde um die Jahrhundertwende als so genannter „Fremdenstall“ benutzt. Solange es noch keine Lastautos gab, mussten die Lebensmittel für die Läden aus den großen Firmenlagern in Saarbrücken mit Pferdefuhrwerken in Hochwald und Hunsrück gebracht werden. Im Gasthof Basenach in Nunkirchen machten die Fuhrleute Station. Die Pferde wurden abgeschirrt und kamen in den „Fremdenstall“; die Fuhrleute hatten im Gasthof ein eigenes Logis, das „Kutscherzimmer“. Dieses Zimmer erfüllte auch beim nachfolgenden Eigentümer seinen Zweck und diente lange Zeit als „Vertreterzimmer“.

Kaisers Geburtstag im „Sälchen“

Eine Bemerkung sei an dieser Stelle eingefügt: Die äußerst günstige Verkehrslage Nunkirchens, bereits vor hundert Jahren erwiesen, hat nicht dazu beigetragen, dass Nunkirchen ein großes Hinterland bekam. Vielleicht liegen die Gründe hierfür in der Tatsache, dass die umliegenden Ortschaften eigene (Unter-)Herren hatten beim gemeinsamen obersten Herrn, dem Kurfürsten von Trier. Andererseits war Nunkirchen gemäß kurfürstlich-erzbischöflicher Anordnung Pfarrort mit den Filialen, Büschfeld, Vogelsbüsch, Biel und Michelbach. Trotzdem kam es nie zu einer Gruppierung dieser Ortschaften im politischen Sinne um den Kern Nunkirchen.

GaststaetteLauer_kleinAls die Eheleute Lauer 1905 den Gasthof erwarben, war die Metzgerei nicht mehr in Betrieb. Im umgewandelten Basenachschen Anwesen mit einem kleinen Sälchen über dem Nebenzimmer feierte die damalige „Hautevolee“ Nunkirchens Jahr für Jahr Kaisers Geburtstag. Die Barone vom nahen Schloss Münchweiler, der Bürgermeister und die Gemeinderäte wurden aus Anlass dieses Tages nicht müde, viele „Hochs“ auf Seine Majestät auszubringen.

Der Erste Weltkrieg beendete die Idylle der so genanten „guten, alten Zeit“ die, das wissen wir heute, gar nicht so gut – zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht – gewesen war. Viele ältere Nunkirchener erinnern sich noch daran, dass ihre Eltern und Großeltern beim Baron in Münchweiler „fronen“ mussten.

1927: Der Saal wird gebaut

Die ersten Jahre nach dem Kriegsende 1918 brachten für den Gasthof Lauer, was die Dorfgeschichte angeht, keine nennenswerten Ereignisse. Erst der Anbau des großen Saales im Jahre 1927 änderte mit einem Schlage das geruhsame Leben. Für die älteren Leute damals war der Bau dieses Saales ein Grund, die Köpfe zu schütteln: „Was wollt ihr denn mit dem Saal? Das ist doch weggeworfenes Geld! Da geht doch kein Mensch hinein!“

Die Pessimisten sollten Unrecht behalten: Der vom Bauunternehmer Josef Schommer (Wahlen) errichtete Bau – er wurde über dem damaligen Eiskeller gebaut – bekam Zulauf von allen Seiten. Tanzmusik ließ die Jugend der damaligen Zeit im Saal Lauer Abwechslung und Kontakte finden. Ein geflügeltes Wort aus dieser Zeit: „Willst du deine Kinder unter die Haube bringen, lass sie bei Lauersch im Saale springen!“ Der Karneval wurde aus seinem Dornröschenschlaf geweckt.

Ein technisches Ereignis im Jahre 1929 steht in den Annalen der Gastwirtschaft Lauer obenan: In diesem Jahr übernahm das RWE vom Sägewerk Meiers, das bis dahin für den elektrischen Strom in Nunkirchen gesorgt hatte, die Stromlieferung. Nach Beendigung der Arbeiten feierten die Monteure ihren „Monteursball“. Die einmalige Illumination des Saales ist heute noch Gesprächstoff bei den Geschwistern Lauer, die nach dem Tode der Mutter im Jahre 1937 – der Vater war bereits 1923 verstorben – Gasthausbetrieb und Landwirtschaft weiterführten.

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Dem Vereinsleben in Nunkirchen kam der große Saal sehr zustatten. Turnverein und Theaterverein wurden zu den Hauptnutznießern. Der Theaterverein, später „Volksbühne Nunkirchen“, steht heute nur noch auf dem Papier. Aber es erscheint fast unglaublich, welche Leistungen Regie und Laien-Schauspieler der „Volksbühne“ in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg geboten haben. Angefangen bei der Bühnendekoration durch Malermeister Heinrich Moritz (Foto rechts). Nach seine Vorstellungen wurde die Bühne (72 qm; Spielfeld 6 m x 6 m] anfangs als Baukastenbühne gebaut, um später zu einer Stilbühne und Vorhangbühne mit Rundhorizont erweitert zu werden. Moritz trieb es jedoch zu mehr als nur zum Kulisenmalen. Unter seiner Regie erlebte die „.Volksbühne“ eine große Zeit. Wenn man die Titel der aufgeführten Werke erfährt, muss man mit Staunen und Bewunderung feststellen, wie Laienkräfte zu „den Sternen griffen“ und sich dabei nicht mal die Finger verbrannten.

Doch: Beim ersten Stück, Schillers „Maria Stuart“, ging manches schief. Sollte man doch zu hoch hinaus gewollt haben? Um sich selber zu bestätigen und die Scharte auszuwetzen, nahm die „Volksbühne“ kurz darauf an einem Bühnenwettstreit in Schmelz teil („Venus von Milo“ von P. Lindau), wo sie in der B-Klasse einen überzeugenden Erfolg errang. Dieser Erfolg spornte die Schauspieler an, sich im Heimatdorf wieder zu rehabilitieren. Mit „Kabale und Liebe“ von Schiller gelang dieses Vorhaben überzeugend, und von da an strahlte der Name der „Volksbühne“ Nunkirchen in immer hellerem Lichte.

Das Programm war vielseitig und für eine Laienbühne sehr beachtlich. Shakespeare („Othello“), Schiller („Braut von Messina“, „Turandot“), Hebbel („Maria Magdalena“), Lessing („Emilia Galotti“ und „Minna von Barnhelm“), Grillparzer („Sappho“) lösten sich ab mit Volksstücken wie „Des Königs Befehl“, „Familie Schimeck“, „Die zärtlichen Verwandten“ und Goldonis „Diener zweier Herren“.

1932: Eine „Faust“‚-Aufführung

Ein gewagter Versuch war ohne Zweifel die Aufführung von Goethes „Faust I“ im Goethe-Jahr 1932. Das Publikum im vollbesetzten Saal hielt dreieinhalb Stunden aus und war hell begeistert. Neben Heinrich Moritz als Faust, Johann Engel als Mephisto und Anni Kraus als Gretchen standen Josef und Peter Engel; Jakob, Nikolaus und Alfons Spanier; Cilli Marx-Löw; Mathilde Balzer; Nikolaus Löw; die beiden, Peter Thome und Paul Schmitz auf der Bühne.

Die Laien-Darsteller wollten sich an den Leistungen der Berufs-Schauspieler weiterbilden. Deshalb begrüßen sie es, dass das Saarpfalz-Theater mit Edda Seippel des Öfteren im Saale Lauer gastierte.
Der Saal diente aber auch als Kino-Saal, wenn die Gau-Filmstelle mit Spielfilmen Alltagsabwechslung ins dörfliche Einerlei brachte.
Mit dem Kriege hörte (fast) alles auf. Auch die viel versprechende Arbeit einer aus dem Turnverein hervorgegangenen Volkstanz-Gruppe und einer Mädchen-Gitarren-Gruppe musste eingestellt werden.

Bis dahin hatte ein sehr aktiver Turnverein mit einer leistungsfähigen Leichtathletik-Abteilung bestanden, die auch auf überörtlicher Ebene manche Siegespreise gewann. Die Geräteturnabteilung, deren Trainings-Quartier der Lauersche Saal war, stand auf hohem Niveau. Neben einheimischen Turnern, von denen viele im Kriege fielen, waren es besonders Zollbeamte, die für reges Leben im Turnverein sorgten. Zollbeamte in Nunkirchen? Nun, es war die Zeit von 1935, als vor Nunkirchen und Michelbach die damalige Grenze zwischen dem Deutschen Reich und dem Saargebiet verlief.

Nach dem Kriege konnte der Turnverein Nunkirchen trotz aller ernst gemeinten Versuche leider nicht mehr an die Leistungen der Vorkriegszeit anknüpfen.

Dem Saale Lauer drückte der Krieg seinen Stempel auf: Als Wohnheim für Westwall-Arbeiter (80 Betten) und als Feldlazarett wurde er bis 1940 zweckentfremdet. Die folgenden Kriegsjahre über blieb der Saal von Einquartierung verschont, wurde aber 1944 noch Divisions-Verpflegungslager. Unmittelbar nach dem Kriege war der Saal Büro der Erfassungskommission des Kreises Merzig und des ehemaligen Restkreises Wadern für heimkehrende Soldaten.

Erst nach und nach kehrte das zivile Treiben wieder ein, zaghaft zwar und recht bescheiden. An der Fastnacht 1947 war die erste Veranstaltung mit alkoholischen Getränken, nachdem vorher äußerst „wässrige“ Veranstaltungen stattgefunden hatten. Das kulturelle Leben konnte sich in den Zeiten, wo ein Stück Brot kostbarer war als eine Theaterkarte, nur mühsam wieder entfalten. Da waren es vor allem die Mitglieder des Saarländischen Landestheaters, die das Wort, dass der Mensch nicht allein vom Brote lebe, lebendig werden ließen. Sie kamen oft nach Nunkirchen. Johann August Drescher, der bekannte Charakterdarsteller, wohnte bei jedem Besuch im Gasthaus Lauer. Auch Brigitte Dryander und Franz Dühr kamen immer gern nach Nunkirchen, um sich (kulinarisch) verwöhnen zu lassen.

Die wirtschaftliche Situation, und damit auch die äußeren Verhältnisse, besserten sich zusehends. Das größte Industrie-Unternehmen in der Nachbarschaft, das Holzfaser-Plattenwerk Niederlosheim („Holo“), gestaltete seine ersten Mai- und Weihnachtsfeiern Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre im Saale Lauer.

Theaterende: Erstes Blumenfest

Leider ging es mit der Laien-Schauspielkunst zu Ende. Das Unterhaltungsstück „Durch die Zeitung“ beendete die jahrelange Blüte der „Volksbühne“. Das Landestheater unter Josef Leidinger gastierte Anfang der fünfziger Jahre noch einige Male; dann war es auch damit vorbei, und der Saal Lauer war nur noch Tanzstätte und Treffpunkt am „Tag der Alten“. Die Bühne hatte mehr oder weniger ausgedient.

Im Jahre 1955 kamen Nunkirchen und mit ihm der Saal Lauer wieder in aller Munde: Das erste Blumenfest wurde gefeiert. Auf der Bühne wurde die erste Blumenkönigin Ingrid I. gekrönt. Dreimal noch war die Eröffnung im Saale Lauer, ehe sich das ganze Geschehen auf dem Sportplatzgelände in einem Zelt abspielte.

GaststaetteLauer_Innen_kleinZuletzt blieb der Saal Lauer – das Foto links zeigt die Inneneinrichtnug der 1950er Jahre – nur noch zur Karnevalszeit im Gespräch, vor allem, als der Sportverein Nunkirchen seine „Schwarz-Weiße Nacht“ startete. Die allerletzte Großveranstaltung erlebte der Saal, als Pastor Hoferer im August 1968 eingeführt wurde. Seitdem führte der Saal ein geruhsames Dasein, bis er vor einigen Jahren als Lagerhaus einer einheimischen Firma gemietet wurde, und es auch heute noch ist.

Nun hat auch die Gastwirtschaft ihre Tore geschlossen, sehr zum Leidwesen einiger älterer Solo-Spieler, und vor allem des „Stammtisches“, der jeden Sonntag nach dem Hochamt hier getagt hat. Auch das ist vorbei: Ein weiteres Stück Nunkirchener Geschichte ist Vergangenheit.