Die Biographie der Antonia Meyers
Ein Leben ohne Rast
Die Lebensgeschichte von Antonia Meyers hat viel von einem Abenteuerroman. 1933 verließ sie Europa und damit auch ihren Heimatort Nunkirchen und ging nach Indonesien. Dort stand sie auf Seite der Einheimischen. Und damit gegen die Kolonialherren. Fünf Gefängnisse sah sie von innen, drei Mal wurde sie gar zum Tode verurteilt. Rückblick auf eine in früheren Schilderungen arg romantisierte Biographie, die aber trotz mancher Verdrehungen der historischen Wahrheit ganz sicher nicht in die Kategorie „alltäglich“ einzuordnen ist.
Eigentlich begann das Leben von Antonia Meyers wohlbehütet und unter besten Voraussetzungen. Die Brüder Johann und Franz Meyers hatten um etwa 1800 in Nunkirchen eine Sägemühle gegründet und diese mit der damals neusten Technik ausgestattet. Die Gatterwerke und auch alle anderen elektrischen Geräte wurden mit Strom erzeugenden Turbinen über Wasserkraft betrieben. Familie Meyers war durchaus wohlhabend. Der Besitz mehrte sich stetig, so dass sich zu dem opulenten Wohnhaus der Sägewerksbesitzer noch ein Hotel, die spätere Gaststätte Salm – heute eine Spielhalle – gesellte. 1924 wurde das heutige Haus der Familie Schneider bezugsfertig. Es diente seinerzeit dem Sohn der Familie, Hermann Meyers, als Wohnstatt. 1903 geboren, war er der älteste der fünf Kinder der Eheleute Johann und Hermine Meyers Meyers (geborene Fleisch).
Das fünfte Kind der Familie Johann Meyers hieß Antonia. Am 13. April 1909 geboren, war sie der Liebling der Familie. Vater Johann nahm sie schon als kleines Mädchen mit auf Geschäftsreisen. Im Alter von drei Jahren erkrankte Antonia lebensgefährlich. Ihre Eltern versuchten alles Mögliche, um ihrer Tochter zu helfen. Doch nichts schien zu helfen. In ihrer Not vertrauten sie auf den heiligen Antonius und versprachen den Bau einer Kapelle, sollte die kleine Antonia durch dessen Fürsprache am Leben bleiben. Antonia wurde wieder gesund. Und – wie versprochen – errichtete die Familie dem heiligen Antonius von Padua zu Ehren eine Kapelle, die zwischen 1908 und 1915 gebaut wurde – das genaue Datum der Fertigstellung ist leider nicht übermittelt.
Dem Tod von der Schippe gesprungen
Antonia – unser Bild zeigt sie als junge Frau – entwickelte sich zu einem lebhaften und lebensfrohen Kind, das sich sehr zur Natur hingezogen fühlte. Vor allen Dingen die Geographie hatte es ihr angetan. So sehr sogar, dass sie, wie damals kolportiert wurde, während einer Geschäftsreise ihres Vaters in Antwerpen versucht haben soll, auf ein Überseeschiff zu gelangen. Fernweh prägte ihr Wesen. Als ihr Vater 1918 an den Folgen eines Kriegsleidens starb – das Sägewerk übernahm nur dessen Bruder Franz, der es ab 1932 in alleiniger Verantwortung führte –, soll sich die kindliche Sehnsucht Antonias, die engen Ketten zu sprengen, zu einem unbändigen Drang ausgewachsen haben.
So schildern es zumindest ältere Beschreibungen des Lebenswegs von Antonia Meyers, die auch ihren weiteren Werdegang eher romantisierend darstellen. Demnach besuchte 1932 ein gewisser Franz Klein Familie Meyers in Nunkirchen. Er soll ein Onkel der Familie gewesen sein. Eine Darstellung, an der es nach heutigem Erkenntnisstand erhebliche Zweifel gibt. Franz Klein, soll als Polizeioffizier in der damals holländischen Kolonie Niederländisch-Ostindien, dem heutigen Indonesien, gearbeitet haben. Ihm sei Antonias Sehnsucht nach der großen weiten Welt ebenso wenig verborgen geblieben, wie deren außergewöhnliche musikalische Begabung, heißt es in einer früheren Schilderung. Franz Klein habe der Mutter Antonias vorgeschlagen, die Tochter als Gesellschafterin in die gehobenen Kreise in Indonesien einzuführen. Der anfängliche Widerstand der Mutter, deren Verhältnis zur Tochter – und das ist heute als Fakt anzusehen – nicht unbedingt das beste war, soll rasch gebrochen gewesen sein. Zu verlockend seien die Aussichten auf eine „große Karriere“ der Tochter in der Fremde gewesen. Antonia verließ Nunkirchen.
Die süßliche Geschichte von kleinen Mädchen, das hinaus in die Welt wollte, liest sich in der Darstellung von Hugo Dörr aus dem Jahr 2005 ganz anders. Demnach soll sich Antonia Hals über Kopf in einen Inder verliebt haben und mit ihm durchgebrannt sein. Am wahrscheinlichsten dürfte allerdings die Darstellung von Werner Stauder sein. Für seine Recherche zu einem Buch hat sich der Journalist und Buchautor mit der Lebensgeschichte des angesprochenen Franz Klein beschäftigt. Ein Onkel der Familie war er demnach nicht. Das bestätigen auch die Nachfahren, des Polizeikommissars, der als Gefangener auf einem Schiffs ums Leben kam, das im Zweiten Weltkrieg versenkt wurde.
Dass Antonia Meyers Franz Klein Onkel nannte, wird indes nicht bestritten. Die Bekanntschaft zwischen dem wesentlich Älteren Franz Klein und der jungen Antonia Meyers wurde in beiden Familien als skandalös betrachtet, zumal offensichtlich alle Beteiligten zwischen beiden mehr als nur eine Freundschaft vermuteten. Der verheiratete Franz Klein kam 1935 anlässlich der Saarabstimmung zurück in die Heimat. Bei diesem Besuch soll er Antonia regelrecht überredet haben, mit ihm nach Indonesien zu kommen, was bei seiner Frau und deren Schwester, die mit dem Bruder von Franz Klein, Gustav verheiratet war, alles andere als Begeisterungsstürme auslöste.
Unbestritten ist heute, dass sich Antonia Meyers ihrer neuen Heimat rasch sehr verbunden fühlte. Niederländisch-Ostindien, genauer gesagt die Insel Celebes (heute: Sulawesi), sollte fast 15 Jahre lang ihre Heimat werden. Eine Heimat im Umbruch und eine der Gegensätze. Die Kolonialherrschaft der Niederländer, die sich ab dem 16. Jahrhundert gegen die Portugiesen durchgesetzt hatten und Niederländisch-Ostindien mit eiserner Hand führten, und die Repressionen, denen sich die Inselbevölkerung ausgesetzt sah, passten wenig in das von christlicher Weltanschauung geprägte Weltbild der Tochter aus gutem Hause. Antonia hat nach eigenen Angaben mehr und mehr die Seiten gewechselt. Sie soll Aussätzigen geholfen und einheimische Mädchen in Musik, Tanz und Gymnastik unterrichtet haben. Die Einheimischen hätten sie „unsere Nona“ genannt, erzählt sie in einem ihrer späteren Bücher. Nach und nach – vor allen Dingen durch den Unterricht den sie Klosterschülerinnen in Manado, der heutigen Hauptstadt der indonesischen Provinz Nord-Sulawesi, erteilte, machte ihr Namen die Runde. Zu jener Zeit scheint sie auch dem Orden der Ursulinerinnen beigetreten zu sein.
Ihr Bekanntheitsgrad brachte indes auch Probleme mit sich. Als ihre Musikschülerinnen sie 1938 baten, ein deutsches Volkslied einzustudieren, soll sie ihnen „sah ein Knab ein Röslein stehen“ vorgeschlagen haben. Wenn dem so war, dann war das ein fataler Fehler, waren doch sowohl die deutsche Sprache als auch die deutsche Kultur den niederländischen Kolonialherren – auch aufgrund der Entwicklungen in Nazi-Deutschland selbst – mehr als ein Dorn im Auge. Eine Anzeige folgte. Antonia Meyers wurde mit der Begründung, sie habe das Naziregime verherrlicht, zu strenger Kerkerhaft verurteilt.
Mit der Besetzung Indonesiens durch die Japaner im März 1942 und der Vertreibung der fast 350 Jahre in Indonesien präsenten holländischen Kolonialmacht kam Antonia kurzzeitig wieder auf freien Fuß, um bald danach erneut verhaftet zu werden. Die Präsenz der neuen Herren im Land weckte indes in den Indonesiern das Verlangen nach Freiheit und Selbstbestimmung, das im März 1943 in der Unabhängigkeitserklärung gipfelte. In Antonia Meyers fanden die Indonesier eine engagierte Fürsprecherin für den friedlichen Einsatz für Freiheit und Selbstbestimmung.
Lebensabend in Liechtenstein
Als die Japaner, die selbst eine Schreckens- und Willkürherrschaft errichtet hatten, im August 1945 kapitulierten und die Alliierten Indonesien einnahmen, war das zarte Pflänzchen Freiheit längst zertreten. Mord, Totschlag, Verhaftungen und Hinrichtungen bestimmten das Bild über lange Jahre. Und Antonia Meyers war nach eigenen Schilderungen mittendrin im Geschehen. Sie sei verhaftet und wochenlang verhört worden. Offenbar stellte die zierliche Frau für die englische Besatzungsmacht eine Gefahr dar, da sie ihre Ansichten durchaus dazu geeignet waren, den Freiheitsdrang der Indonesier zu beflügeln. Ihr Wort scheint ein gewisses Gewicht bei den Einheimischen gehabt zu haben. Das mussten auch die neuen Kolonialherren gewusst haben, die ihrerseits höchstes Interesse daran hatten, die widerstreitenden Parteien ruhig zu halten.
Die Nunkircherin wurde der Spionage angeklagt und zum Tode verurteilt. Zwischen sechs Gefängnissen ständig hin und her verlegt, schien das Ende nahe. Am Tag vor der angesetzten Hinrichtung erhielt Antonia Besuch von einem englischen Militärgeistlichen, der sie auf ihren letzten Gang vorbereiten sollte. Pater Low kam allerdings nach einem Gespräch mit der Todeskandidatin zu dem Schluss, dass hier ein Fehlurteil gefällt worden sei und suchte in aller Eile den neu eingesetzten australischen Gouverneur auf. Diese ließ sich die Prozessakte kommen und ließ Antonia frei. Die vermeintliche Spionin kehrte zu den Ursulinenschwestern zurück, widmete sich wieder der Musik und dem Unterricht der Klosterschülerinnen.
1946 ging Indonesien wieder in niederländische Herrschaftsgewalt über. Antonia musste ihre neue zweite Heimat verlassen. Sie kehrte nach Europa zurück.1947 und 1956 besuchte sie für wenige Tage auch Nunkirchen noch einmal. Viel hielt sie allerdings nicht mehr in ihrer früheren Heimat, zumal das Verhältnis zu ihrer Familie nicht unbedingt konfliktfrei war.
Antonia Meyers wurde später in der Schweiz sesshaft und schrieb über ihre Zeit in der Südsee einige Bücher. Sie war eine enge Vertraute von Prof. Dr. Albert Drexel, einem Sprachwissenschaftler, Völkerkundler und Priester, der theologisch äußerst konservativ, dem Gedankengut des von Papst Johannes Paul II. exkommunizierten Marcel Lefebvre nahe stand. Antonia Meyers pflegte Prof. Dr. Albert Drexel bis zu dessen Tode im März 1977. Sie selbst fand danach Aufnahme im Frauenkloster Schellenberg in Liechtenstein, wo sie am 17. März 1988 starb. Am 20. März 1988 wurde sie dort zu Grabe getragen.
Die Angaben in diesem Text von Jochen Kuttler stammen zum Teil aus den Büchern von Antonia Meyers selbst, zum Teil wurden sie von Siegfried Engel aus dem Erinnerungsschatz von Freunden von Antonia Meyers zusammengetragen. Die Schilderungen der Auswanderung nach Indonesien und die Rolle des vermeintlichen Onkels Franz Klein hat der Journalist und Buchautor Werner Stauder recherchiert. Die Gebursts- und Sterbedaten von Antonia Meyer sowie ihre Lebensgeschichte nach 1945 wurden von Jochen Kuttler in Nunkirchen bzw. Schellenberg (Liechtenstein) nachrecherchiert.
Walter Schommer hat uns einen Artikel aus der Zeitschrift „Betendes Gottesvolk“ zur Verfügung gestellt. Der Bericht erzählt die Geschichte einer goldbesetzten Kette. Antonia Meyers hat in jungen Jahren selbst das Gold für die Kette in den Bergen gesucht und die Perlen vom Grund des Meeres geholt. Durch ihre Verehrung des hl. Bruder Konrad von Parzham kam diese außergewöhnliche Goldkette nach Altötting. Über diese Begebenheit hat Antonia Meyers auch ein 158 Seiten starkes Buch geschrieben („Die Kette der Madonna“, Foto rechts), das im Antiquariat noch erhältlich ist.